Alpenüberquerung
Die Lust nach einem Skiabenteuer abseits der Piste ließ die Idee einer Art Skisafari reifen
In Absprache mit unserer schon erprobten „Bergziege“ Olli, aus dem Kleinwalsertal, entwickelten wir die Vorstellung einer Wochentour, von Riezlern aus startend den Alpenhauptkamm bis ins Engardin zu überqueren und in einer großen Schleife wieder zurückzukehren. So ergab sich ein planerischer Mix aus Lift- und Tourenaufstiegen, Bus- und Taxifahrten einer Pferdeschlitten- und Radtracfahrt und natürlich traumhaften Tiefschneeabfahrten. Soweit zur Planung. Das Schwierigste bei einer solchen Unternehmung ist die Unvorhersehbarkeit des Wetters, da eine wetterbedingte unmögliche Bergüberschreitung mit einem teilweisen erheblichen Umweg über Straßen verbunden ist. Aber dazu später.
Spannend und gleichsam lustig war die Teilnahme zweier Tour-Novizen. Denn die Tour war für sie in zweierlei Hinsicht Neuland. Zum einen beschäftigte sie die quälende Frage, ob die Kondition für alle Aufstiege reichen würde, und zum anderen mussten Ausrüstung, Kleidung und Proviant für eine Woche in einem viel zu kleinen Rucksack verstaut und auch noch selbst getragen werden. Da es sich um einen Mann, namens Stefan und einer Dame, namens Barbara handelte, war es für den Betrachter nun interessant, wie dieses Problem von den unterschiedlichen Geschlechtern gelöst werden würde. Hier gleich eines vorweg: die Planung garantierte auf alle Fälle keine besonderen Gefahren, machbare Aufstiege für mittlere Kondition, keine waghalsigen Abfahrten und zur Not einen möglichen Tourabbruch – der Funfaktor stand klar im Vordergrund.
Alpen0001So trafen wir uns, Barbara, Roland, Brunsi, Phillip, Stefan und ich samstags abends in Baad im Kleinwalsertal – und, dass eine solche Tour auch gleich richtig beginnt in einer Jugendherberge im 6-Bettzimmer. Nach ein paar Glas Wein und wenig waschen verschwanden wir nicht zu früh in unseren Kojen. Nach einer erstaunlich ruhigen Nacht wurde man jedoch schon gegen 5.30Uhr durch dezentes Rascheln in der Nachtruhe begrenzt. Bei näherer Aufmerksamkeit stellte sich heraus, dass Stefan doch die Nervosität verfolgte und mit dem Packvolumen und Gewicht seines Rucksackes nicht ganz einverstanden war. In akribischer Kleinarbeit setzte er seine ganzen Geschicke daran, seinen Rucksack leichter zu packen. Ein Vorgang, der sich jeden Morgen wiederholen sollte. Leider konnte bislang keiner von uns erfahren in wieweit diese Technik Erfolg hatte. Barbara, unsere weibliche Novizin, überrascht hingegen mit einer extrem übersichtlichen Packvariante, was ebenfalls all morgendlich dazu führte, dass sie nicht glauben mochte, mit dem Packen schon fertig zu sein und stets nach möglicherweise vergessenen Dingen Ausschau hielt.
Also frisch aus den Betten und nach einem guten Herbergsfrühstück trafen wir uns pünktlich um 8.30Uhr an der Ifenbahn zu unserem Tour-Beginn. Alles hätte so schön beginnen können, aber wo war Phillip? 6 sind einfach zu viele. Den hatten wir glatt in der Herberge vergessen. Also wieder zurück unseren „6-ten Sinn“ einladen, um dann endlich um 9.30Uhr mit einer Stunde Verspätung zu starten. Zum Glück kennt uns der Guide.
Nach kurzem Aufstieg, führte uns unsere erste Abfahrt vom Hohen Ifen nach Westen Richtung Bregenzer Wald. Und hier offenbarte sich nun das Dilemma unserer gesamten Tour. Die Schnee- und Wetterbedingungen waren fast schon extrem schlecht. Wenig Schnee und seit Tagen stürmischer Wind. Das hieß fahren wie der erste Mensch im gepressten Triebschnee mit Deckel und absolute Vermeidung von Steilhängen wegen erhöhter Lawinengefahr. So fuhren wir bei kräftigem Westwind und guter Sicht durch ein Steiltobel in die unberührte Miesbodenalpe und hatten von dort einen faszinierenden Blick auf die Rückseite des Ifenmassives.
Es folgte eine leichte Abfahrt zu der großen, malerisch gelegenen Sommeralm Schönenbach-Vorsäß. Die fast einstündige Durchquerung dieser Hochebene ließ den ersten Schweiß fließen und einen Eindruck des Skitourings aufkommen. Nach eineAlpen0015r kurzen Waldabfahrt wurden wir von einem vorreservierten Taxi in Empfang genommen und fuhren über die Bregenzer Wald Bundesstraße nach Warth. Durch den langsam stürmischer werdenden Wind waren hier schon die ersten Sessellifte abgestellt, so dass wir mit etwas Umweg zum Saloberkopf auffahren mussten. Von hier mussten wir uns, dem wirklich stürmischem Wind mit Kraft entgegen stemmen, um auf einem Grad zum Karhorn hinaufzusteigen. Bei normalen Bedingungen öffnen sich auf den Südhängen unter dem Karhorn traumhafte Tiefschneehänge zur Auenfelder Alpe. Jetzt aber fanden wir ungünstige Triebschneefelder mit teilweisen Grundlawinenabgängen vor, die uns zu sicherheitsorientierten schwunglosen Schrägfahrten zwangen. Nach schweißtreibender „Schwerschneefahrt“ erreichten wir dann mit Verspätung und ohne Mittagspause die Bushaltestelle in Unterstubenbach und gelangen von hier per Bus zur Alpe Rauz. Wegen der fortgeschrittenen Zeit und dem einsetzenden Schneefall fiel uns die Entscheidung leicht bis nach Pettneu am Arlberg, unser erstes Nachtlager, ebenfalls mit dem Bus zu fahren. Als Nachtlager erwartete uns eine Pension für gehoben Anspruch; super Zimmer, super Bar, super Essen. Da der Sohn der Besitzer ebenfalls Bergfüher war, besprach unser Guide Olli mit ihm die geplante Route. Dank seiner Ortskenntnis konnte Andy uns die geplante Route nach Galtür durch das Verwalltal, vorbei am Patteriol und über das Schafbichljoch auf keinen Fall empfehlen.
Etwas geknickt traten wir die Reise nach Galtür am nächsten Morgen wieder mal per Bus an. Zwei Dinge entschädigten uns wir diesen ungewollten Entschluss. Erstens hatten wir uns fast 1200 Höhenmeter Aufstieg gespart und in Galtür erwartete uns völlig unerwartet Sonnenschein und traumhafter unverspurter Pulverschnee ohne Windeinfluss. So verbrachten wir einen super Offpisten-Tag mit Powderfeeling über den Hängen des Kops Stausees. Leider sollte dies unser bester Skitag in dieser Woche sein.
Alpen0004Der folgende Tag begann mit einer eindrucksvollen Fahrt auf einem monströsen Schneemobil aus den 60-er Jahren, das uns die Silvretta-Passstraße zum Berggasthof Piz Buin hinaufbrachte. Bei strahlend blauem Himmel entstiegen wir unserem Gefährt und genossen einen imposanten Blick auf den Piz Buin, den Scheideberg des Alpenhauptkammes. Die ersten 2 km über den Silvretta Stau wurden wir bequem von einem Skidoo gezogen, bevor wir ab dem Fellanlegeplatz auf Beinarbeit umstellten. Von hier zieht sich unser erster wirklicher Aufstieg über einen breiten Weg im Ochsentals mit mäßiger Steigung auf die 400 Meter höher gelegene Wiesbadener Hütte. Bei strahlendem Sonnenschein wurde diese erste Etappe von allen bravourös gemeistert und mit einem deftigen Hüttenessen belohnt.
Gestärkt starteten wir nach einstündiger Rast zur zweiten Tagesetappe. Über leicht kuppiertes aber steiler werdendes Gelände stiegen wir weitere 400 Höhenme-ter über den Vermuntgletscher auf den 2800m hoch gelegenen Vermuntpass auf. Das steilere Gelände, das schlechter werdende Wetter und der wieder stark zunehmende Wind ließ erste Erschöpfungserscheinungen, besonders bei unseren Novi-zen, aufkommen. Glücklicherweise konnten wir, bei Erreichen der Passhöhe in dem alten Zollhäuschen vor dem stürmischen Wind Un-terschlupf finden und uns für die bevorstehende Abfahrt neu ordnen. Die Schnee- und Wetterverhältnisse südlich des Alpenhauptkammes waren gänzlich anders als auf der österreichischen Sei-te. Stürmischer Wind und der wenige Schnee war auch noch Triebschnee. Diese Ver-hältnisse erforderten eine sichere Abfahrtsvariante und ließen nicht im Ansatz das tags zuvor erlebte Powderfeeling aufkommen. Mehr recht als schlecht quälten wir uns zur Tuoi Hütte auf 2250m. Diese Hütte ist in einem sehr guten Zustand mit toller Bewirtung und war, trotz ihrer Lage im kargen Felsen bestens besucht. Nach kurzer Rast setzten wir unsere Abfahrt durchs Val Tuoi bei mittlerweile fast null Sicht Richtung Guarda fort. Je tiefer wir kamen um so besser wurde die Sicht und der Wind flaute ab. In Guarda, ein mit viel Aufwand restauriertes und sehr idyllisches Bergdorf im Engadin, hatte Olli wieder eine super Übernachtungs-Lokation für uns reserviert. Bei bestem italienischem Essen und räthoromanischem Flair konnten wir uns für den nächsten Tag bestens regenerieren.
Die nächste Etappe versprach etwas Besonderes. Nach kurzer Taxifahrt standen wir auf einem Pferdehof, auf dem für uns zwei Kutschen prä-pariert wurden. Eingehüllt in dicke Pferdedecken, die schon fast ein wenig lebten, starteten wir die ca. 2-stündige , idyllische Fahrt durch ein tief verschneites Tal des Unterengadin. Ziel war ein Weiler namens S-charl auf 1800m. Trotz der absoluten Abgeschiedenheit und als einzige Gäste, erwartete uns im gut gepflegten Hotel Mayor ein heißer Cappuccino. Dies sollte die letzte Stärkung vor unserer nächsten Aufstiegsetappe von gut 1100 Höhenmeter sein. So fellten wir an und zogen langsam das Tal hinauf bis zum Fuorcla Sesvenna. Zu Beginn konnten wir uns noch an der Sonne erfreuen, doch ab den letzten 400 Höhenmetern kam starke Bewölkung auf, die uns die Sicht nahm. Zusätzlich wurde der Wind wieder stürmischer und die Schneeverhältnisse verschlechterten sich zunehmend. Das bedeutete für uns, leider kein Gipfelerlebnis und wieder einmal eine grausame Abfahrt über Triebschneefelder zur Sesvenna Hütte. Für eine alpine Hütte ist die Sesvenna sehr groß und komfortabel eingerichtet mit super Essen. Auch hier waren wir die einzigen Gäste, brauchten auf Hüttenruhe keine Rücksicht zu nehmen und hatten einen, wie immer, gelungenen, besonders während des Stromausfalls, lustigen Hüttenabend. Hier erfuhren wir vom Hüttenwirt, dass die Uina Schlucht nach Sur En wegen der schlechten Schneeverhältnisse auf gar keinen Fall zu befahren wäre. Leider ein weiterer Tiefschlag für unserer Tour, da diese Abfahrt einen echten Geheimtipp für Off-Pisten-Freaks darstellt und eines der Highlights sein sollten.
Nach angenehmer Nachtruhe erwachten wir und siehe da: es hatte etwas geschneit. So wurden wir für den Uina-Ausfall wenigstens etwas entschädigt und zogen in lockeren Schwüngen durch die unberührte Tiefschneeauflage bis nach Schlinig in Südtirol. Das Übernachtungs-quartier musste natürlich umorganisiert werden und lag in Reschen. Am folgenden Morgen fuhren wir mit dem Bus nach Samnaun, von wo uns die monströsen Gondelbahnen auf den Trida Sattel hieften, von wo wir wieder einmal bei eisigem Schneesturm nach Ischgl abfuhren. Deshalb blieb uns auch die vorletzte Mega-Abfahrt über das Lattejoch oberhalb von Kappl ins Malfontal bei St. Anton verwehrt. Also fuhren wir auch hier wieder unverrichteter Dinge die Piste hinunter nach Kappl und nahmen den Bus nach St. Anton.
Für die letzte Etappe ahnten wir nun schon das Schlimmste, nämlich mit Bus und Bahn zurück ins Kleinwalsertal – eine halbe Weltreise. Am folgenden Tag brachen wir trotzdem guter Dinge nach Zürs auf. Ziel waren die schön kuppierten Tiefschneehänge unterhalb der Hasenfluh Richtung Warth. Doch der Schneesturm hatte Anderes mit uns vor. Statt der schönen Tiefschneehänge versuchten wir dem Sommerwanderweg nach Warth zu folgen. Selbst Bergführer Olli hatte bei wirklich null Sicht größte Mühe den richtigen Weg zu erkunden. Nach einigen Strapazen und reichlich Abenteuer erreichten wir ziemlich eingefroren den Saloberlift und kamen damit nach Warth. Jetzt musste nur noch der Aufstieg auf den Hochalppass bewältigt werden. Aufgrund der vorgerückten Stunde war jetzt auch Eile geboten. Dies verlangte von allen noch einmal Mobilisation der letzten Energie- und Lustreserven. Nach andert-halbstündigem Anstieg lag nun die letzte Abfahrt vor uns, die bei etwas besserer Sicht und mächtig Neuschnee uns wenigstens doch einen Eindruck vermitteln konnte, wie es denn hätte sein können. Der Tourausklang fand bei einem verdienten Radler in Baad statt, bevor wir noch einige Zeit mit den Schneemassen auf und um unsere Autos kämpfen mussten.
Trotz der widrigen Umstände, der schlechten Schneeverhältnisse und mehreren Tourumstellungen ist das Fazit sehr positiv. Wir waren eine super Truppe, hatten alle viel Spaß und verbrachten eine Skiwoche der absolut anderen Art – die Lust auf mehr gemacht hat. Selbst unsere Novizen Barbara und Stefan meisterten alle Anforderungen „fast“ spielerisch und können nun, nach anfänglicher Skepsis, in die Kategorie begeisterter Tourenfreaks eingeordnet werden. Als letztes muss natürlich unser top und immer lustiger Bergführer Olli erwähnt werden, der Tour und Unterkünfte wirklich toll organisierte, alle Herausforderungen souverän meisterte und mit der Höchststrafe für solch ein Unterfangen bestraft wurde – super besch…. Wetter.
Euer
Mischka Triebskorn